Und plötzlich steht die Welt still – wenn ein geliebter Mensch stirbt

28.6.2021: Da die Kita-Eingewöhnung unserer Kleinen wegen Urlaubs verschoben werden musste, haben wir die Tage davor nochmal für einen kurzen Besuch in meiner Heimat Luxemburg genutzt. Eigentlich sollte mein Papa zu der Zeit mit Freunden in Südfrankreich sein, blieb dann kurzfristig wegen einer Familienangelegenheit doch daheim. Viele Zufälle haben dazu geführt, dass wir uns also für diesen schönen Sommertag am Spielplatz verabredet haben. Wir haben mit den Mädels gespielt, gelacht, uns auf den neuesten Stand gebracht – die Stimmung war gut, locker und optimistisch nach diesem kräftezehrenden Corona-Jahr. Anschließend gabs noch ein Olaf-Eis für die Mädels und ein Gläschen Wein für meinen Papa und mich, wir haben uns verabschiedet bis zum baldigen Wiedersehen zur Taufe meines Neffen, seinem Enkel, den er noch nicht kennengelernt hatte. Anna hat ihrem Opa noch am Auto das Versprechen abgenommen, dass er sie bald mit zum Fischen und auf den Hochsitz nimmt, zum Tiere beobachten. Drei Tage später war mein Papa tot. Einfach so. Von jetzt auf gleich. Aus dem Leben gerissen, mit nur 63 Jahren und vielen Zukunftsplänen.

Die Nachricht traf mich voller Wucht, komplett unvorbereitet und meine Welt stand still. Ein Teil davon tut das immer noch. Und in dieser Trauer fühlte ich mich so allein wie nie zuvor.

Auch wenn wir die meiste Zeit kein typisches Vater-Tochter-Verhältnis hatten, er ein Chaot und Lebemensch war, der alles eher unkonventionell sah und ich mir oft wie die Erwachsenere von uns beiden vorgekommen bin – was durchaus zu Konflikten zwischen uns führte, so war er immer da. Von Anfang an an meiner Seite. Eine Selbstverständlichkeit, die ich (noch) nicht infrage gestellt habe, schließlich schien er gesund und würde doch sicher wie alle meine Großeltern auch mindestens 90 Jahre alt werden.

Jetzt ist er weg. Und mit ihm seine Träume, Pläne für „nach Corona“: die Wiederaufnahme seines Engagements für die Kindernothilfe in Ghana, die Auswanderung ins französische Périgord – mit Trüffelschwein und kleinem Bistro. Die Welt weiter bereisen – vor allem die abenteuerlichen Ecken abseits der touristischen Gegenden, in denen er sich mit Händen und Füßen durchschlagen musste. Er liebte das Leben und die Menschen, war ein Träumer und Idealist. Ein hervorragender Koch und leidenschaftlicher Musiker.

Daher ist es auch die Musik, die mir seit seinem Tod am meisten Trost spendet. Die Stücke, die er liebte, die er selbst gesungen, gepfiffen und gesummt hat. Die denen ich (als Kind) bei seinen Konzerten als Teil der Musikkapelle oder Dirigent zugehört habe, erhalten meine Erinnerungen an ihn und schaffen eine vertraute Nähe.

Die Spurensuche

Da meine Eltern seit 15 Jahren getrennt sind und mein Vater alleinstehend war, waren es nach seinem Tod vor allem seine vielen Freunde aus aller Welt, die mir nach seinem Tod noch Geschichten über ihn erzählt haben, Wünsche, Träume, Pläne, die ich zum Teil noch nicht kannte oder vergessen hatte. Viele Aussagen und Erinnerungen seiner Freunde haben mich vor allem am Anfang sehr getröstet. Die Bestätigung, dass er bis zum Schluss ein glückliches Leben voller Tatendrang geführt hat, kompensierte vielleicht ein bisschen die gestohlene gemeinsame Zeit und die vielen offenen Fragen, die nun für immer unbeantwortet bleiben.

Was war die schönste/beste/schlimmste Zeit deines Lebens? Wie lautet das Rezept für deine Gewürzmischung, die wir alle so lieben? Was ist dein Lieblingslied?

Was tröstet

Gleichzeitig wird jede kleine Entdeckung zum Schatz. Seine witzigen Passwörter für Online-Konten (die ich im Übrigen alle knacken konnte), die so typisch für ihn sind. Ein Zettel zur Markierung der Seite mit meiner Lieblingssuppe im sonst unberührten Rezeptbuch. Filme und Fotos, unter anderem von seinem letzten Tag, die mir auf Nachfrage sofort von ganz lieben und bis dahin unbekannten Menschen zur Verfügung gestellt wurden.

Überhaupt waren auch die Unterstützung, die Solidarität, die geteilte Trauer, die Nachrichten, die Liebe und Freundschaft sowohl von meinen als auch von den Freunden meines Vaters ein großer Trost.

Tabuthema Tod und Umgang mit Trauernden

In unserer Generation ist der Tod noch ein totales Tabu. Er verunsichert. Wir haben glücklicherweise noch kaum Erfahrung damit, die Generationen vor uns werden sehr alt und oft geht dem Tod ein langer Weg der Krankheit und/oder Pflegebedürftigkeit voraus. Es ist Zeit für Abschied und oft eine Erlösung. Kaum jemand in meinem Alter hat bereits ein Elternteil verloren.

Auch ich hätte nicht gewusst, wie ich einer Freundin begegne deren Papa einfach gestorben ist.

Ich war tagelang wie gelähmt, wollte niemanden sehen oder hören, keine Normalität, kein Leben sehen, das einfach so weitergeht, obwohl meine Welt stillsteht.

Dennoch habe ich mich eingehüllt in die lieben Nachrichten, die mich von allen Seiten erreicht haben. Anrufe habe ich nur nach vorheriger Absprache angenommen. Und auch wenns für beide Seiten schwer ist, es hilft! Es hilft zu wissen, dass jemand an einen denkt und da ist. Auch wenn er nix machen kann. Deswegen bin ich unendlich dankbar für die vielen sehr persönlichen Karten, Nachrichten und Worte von Freunden, die ich zum Teil jahrelang nicht gesehen hatte. Auch die vielen Menschen beim Begräbnis waren mir ein großer Trost. Es ist für keinen einfach, aber es tröstet zu wissen, sie denken an mich, sie sind da.

Eine Freundin hat mich gebeten ihr zu sagen, was mir geholfen oder gutgetan hat. Weil sie, wie wir wohl alle, in solchen Situationen einfach immer hilflos und unsicher ist. Ich kann nur von mir sprechen, finde aber jede Geste zählt. Allein, dass man sich bemerkbar macht, nachfragt, zeigt „ich bin für dich da“ – ob persönlich mit einer Umarmung oder auch virtuell mit einem Herz-Emoji.

Tatsächlich gibt es auch ein paar Menschen in meinem näheren Umfeld, die mich bis heute nicht darauf angesprochen haben. Wahrscheinlich weil auch sie unsicher sind. Weil sie nicht taktlos sein oder mich beim netten Zusammensitzen nicht daran erinnern möchten, dass mein Vater gestorben ist. Allerdings habe ich bei Treffen mit diesen Freunden aber bis heute eher drauf gewartet, dass sie endlich etwas sagen. Und sei es nur „herzliches Beileid“ oder „wie geht’s dir?“. Dieses darüber Hinweggehen fand und finde ich sehr befremdlich.

Im Gegensatz dazu kamen wiederum auch viele überraschende und sehr tröstende, hilfreiche Reaktionen von vollkommen unbekannten Menschen via Instagram, WhatsApp oder E-Mail, bei meiner Suche nach Informationen zu den noch unvollendeten Herzensprojekten meines Vaters.

Eine wunderbare Geschichte über Trauer und Liebe

Allen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden oder jemanden kennen, dem es so geht, möchte ich den folgenden, in meinen Augen wunderschönen und treffenden Text, ans Herz legen. Eine Freundin hat mir diese Geschichte geschickt, weil er ihr selbst in einer ähnlichen Situation geholfen hat. Und er ist mir ein unfassbarer Trost und hilft auch anderen ein bisschen nachzuvollziehen, was beim Tod eines geliebten Menschen in einem vorgeht. Danke dir, liebe Laura! ❤

Ich bin alt. Das heißt, dass ich bis jetzt überlebt habe und viele Menschen, die ich kannte und liebte, nicht.

Ich habe Freunde verloren, beste Freunde, Bekannte, Großeltern, meine Mama, Verwandte, Nachbarn und sehr viele andere Menschen. Ich habe keine Kinder und ich kann mir nicht annähernd vorstellen, was es für ein Schmerz sein muss, ein Kind zu verlieren. Aber hier sind meine Gedanken zu dem Thema:

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass du dich daran gewöhnen wirst, dass Menschen sterben. Aber ich habe mich nie daran gewöhnt. Und das möchte ich auch nicht. Es entsteht jedes Mal ein großes Loch in mir, wenn jemand, den ich liebe, stirbt – egal unter welchen Umständen. Aber ich will nicht, dass es mich jemals kaltlässt. Ich will nicht, dass es etwas wird, was ich irgendwann hinter mir lasse. Meine Narben sind ein Zeugnis der Liebe und der Beziehung, die mich mit diesem Menschen verbunden haben. Und wenn die Narbe tief ist, dann war es auch die Liebe.

Narben sind Spuren des Lebens. Narben beweisen, dass ich tiefe Liebe empfinden und auch verletzt werden kann. Und dass ich heilen und weiterleben und weiterlieben kann. Und das Narbengewebe ist stärker als meine Haut es jemals war. Narben sind nur hässlich für Menschen, die das nicht verstehen.

Und was die Trauer angeht: Du wirst merken, dass sie in Wellen kommt. Wenn das Schiff sinkt, drohst du zu ertrinken und überall um dich herum sind Wrackteile. Alles um dich herum erinnert dich an die Schönheit und Größe dieses Schiffes, das es jetzt nicht mehr gibt. Und alles, was du tun kannst, ist, an der Oberfläche zu bleiben. Du findest ein Wrackteil, an dem du dich eine Weile festhältst. Vielleicht ist es ein Gegenstand. Vielleicht ist es eine schöne Erinnerung oder ein Foto. Vielleicht ist es ein Mensch, der auch auf dem Wasser treibt. Für einige Zeit kannst du nichts anderes tun, als zu treiben und am Leben zu bleiben.

Am Anfang sind die Wellen 30 Meter hoch und krachen gnadenlos über dich herein. Sie kommen im 10-Sekunden-Abstand und lassen dir keine Zeit, Luft zu holen. Alles, was du tun kannst, ist dich weiter festzuhalten und zu treiben. Nach einer Weile – seien es Wochen oder Monate – sind die Wellen immer noch 30 Meter hoch, aber die Abstände zwischen ihnen werden größer. Wenn sie kommen, stürzen sie trotzdem über dich herein und nehmen alles mit sich. Aber zwischendrin kannst du atmen, du kannst funktionieren. Du weißt nie, was die Trauer auslösen wird. Es kann ein Lied sein, ein Bild, eine Straßenkreuzung, der Geruch einer Tasse Kaffee. Es kann alles sein … und die Welle kommt angerollt. Aber zwischen den Wellen findet Leben statt.

Irgendwann im Laufe der Zeit (und das ist bei jedem unterschiedlich) merkst du, dass die Wellen nur noch 20 Meter hoch sind. Oder 10 Meter. Und obwohl sie immer noch kommen, wird der Abstand zwischen ihnen immer größer. Du siehst sie im Voraus heranrollen. An einem Jahrestag, einem Geburtstag, beim Besuch eines bestimmten Ortes, an Weihnachten. Du siehst sie kommen und kannst dich meistens darauf vorbereiten. Und wenn sie über dich hinwegspülen weißt du, dass du irgendwann wieder an die Oberfläche kommst. Durchnässt, Wasser spuckend, an ein kleines Wrackteil geklammert, aber du wirst wieder auftauchen.

Glaube den Worten eines alten Menschen. Die Wellen werden nie aufhören zu kommen, und irgendwie willst du das auch nicht. Aber du wirst lernen, sie zu überleben. Und dann werden andere Wellen kommen. Und auch die wirst du überleben. Wenn du Glück hast, wirst du am Ende deines Lebens viele Narben von vielen geliebten Menschen haben.

Wie Kinder mit dem Tod umgehen

Meine Kinder waren 4 und knapp 2 Jahre alt als mein Papa gestorben ist und hatten ihn ja selbst erst drei Tage vorher noch vollkommen fit gesehen und erlebt. Ich habe absolut nicht damit gerechnet, dass Anna (4 Jahre) versteht, was es bedeutet, als ich ihr gesagt habe, dass ihr Opa gestorben ist. Sie ist gleich in Tränen ausgebrochen und meinte, „dass sie doch noch zusammen fischen und Tiere beobachten wollten und sie ihn jetzt nie mehr wiedersieht und dass das sie sehr traurig macht“. Ich war total überrascht und tief gerührt.

Zwei Tage später jedoch kamen Aussagen wie „Mama, warum weinst du denn immer noch? Bist du immer noch deswegen traurig? Ich bin gar nicht mehr traurig.“ Das war sehr schlimm und verletzend für mich. Obwohl ich wusste, dass Kinder anders mit diesen Dingen umgehen und mit einem Ausflug in den Märchenwald und Eis ihre Welt wieder in Ordnung war. Meine eigene Trauer war einfach zu groß, um nicht verletzt zu sein. Daher finde ich es sehr wichtig, sich die Perspektive der Kinder vor Augen zu halten, zum Beispiel anhand von Kinderbüchern zum Thema Tod.

„Geht Sterben wieder vorbei?“ von Mechthild Schroeter-Rupieper und Imke Sönnichsen haben wir selbst und kann ich sehr empfehlen. Es erzählt eine Geschichte, in der der Opa stirbt und daneben gibts immer wieder einen Kasten mit „echten Kinderfragen“ die beantwortet werden und die man nicht (alle) vorlesen/besprechen muss, aber kann. Teilweise werden auch Dinge erklärt, die wir als Erwachsene nicht unbedingt wissen zu Abläufen in Krematorien usw.

Am Ende gibts auch noch einen Brief an die Eltern, in dem die Trauer der Kinder erklärt wird, was wiederum für mich sehr wichtig war.

Weitere Buchtipps für Kinder zum Thema Tod:

Morgen bin ich Sternenlicht von Sandra Dieckmann, ab 4 Jahre

Der Baum der Erinnerung von Britta Teckentrup, ab 4 Jahre

Die kleine Hummel Bommel nimmt Abschied, ab 3 Jahre

Was andere tun können

Bei allem Organisatorischen hatten mein Bruder und ich zum Glück sehr viel Hilfe. Da wir beide im Ausland leben und bei einem Todesfall leider sehr viele Entscheidungen sehr schnell getroffen und Dinge in die Wege geleitet werden müssen, weiß ich auch gar nicht wie wir das ohne unsere Mama und Familie/Freunde hätten schaffen können. Diese brutale Realität war für mich ein weiterer Schock. Wie soll man Särge/Urnen, Texte für Anzeigen, Blumen aussuchen – mit Versicherungen, Banken, Ämtern telefonieren und den ganzen Kram erledigen, wenn man vor Trauer gelähmt ist. Alles liegt in Scherben. Da ist jede Hilfe und Unterstützung Gold wert. Und sei es nur, dass man wie in meinem Fall einfach nicht in der Lage ist selbst zu reden und andere einem das abnehmen bzw. jemand einem anbietet auf schriftliche Kommunikation auszuweichen.

Was man selbst tun kann
  • Wünsche hinsichtlich der Organisation/Beerdigung usw. für sich selbst und die Eltern, den Partner klären
  • Passwörter für Handy und E-Mail-Konten notieren
  • Bankkonten/Aktien/Finanz-Apps inklusive Passwörter dokumentieren
  • Erinnerungen schaffen indem man Briefe schreibt/aufhebt, vielleicht ein Erinnerungsbuch mit Fragen beantwortet, Fotos macht und aufbewahrt
  • Fragen stellen und sagen, was zu sagen ist

Auch wenn es vielleicht komisch klingt, aber das Handy meines Papas war sehr wichtig für mich, um alles zu verarbeiten, seine (mir unbekannten) Freunde im Ausland zu kontaktieren, Erinnerungen wie Fotos oder Audiodateien zu sichern, mich zu verabschieden und schlussendlich drei Monate lang mein Begleiter bevor ich es schließlich abschaltete.

Was durch die Trauer hilft

Der Alltag, das Leben mit seinen kleinen und auch immer wieder größeren Highlights.

Die Menschen, die noch da sind.

Dankbarkeit, Erinnerung, Akzeptanz und Zeit. Zeit nehmen, Zeit geben, Zeit lassen.

Hoffe ich.

Christine

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